Man denke nicht, daß die
Seefahrt heute „unchristlich" geworden ist! Wer aber in diesen Herrgottswinkel
an der Bremer Wasserkante einen Blick tun darf, findet hier Männer, die alle
noch als Grünschnäbel die Planken von richtigen Segelschiffen unter ihren Füßen
gehabt haben und gottesfürchtig um Kap Horn geschippert sind.
Wenn man die Alten vom
Hause Seefahrt in Bremen Auge in Auge sieht und reden hört, begegnet man
ehrwürdigen Senioren und Patriarchen. „Seebären mit Kranzbart und Priem" wird
man unter diesen weltbefahrenen Kapitänen, die einstmals kleine Könige auf
stolzen Schiffen waren, vergebens suchen. Tscha, da staunen Sie!" meint der
Hausvater, der gerade wieder zu der gewohnten zweiwöchigen Schummerstunde die
Mehrzahl der alten Herren im Clubraum des Verwaltungsgebäudes der Stiftung zu
Gast hat. „Baumwollene Opabärte können Sie bei uns nicht fotografieren, denn
dazu sind wir noch viel zu jung!" Nun ja, es stellt sich heraus, daß der jüngste
64 und der älteste 89 Jahre auf dem sturmerprobten Buckel hat. Die Kapitäne, die
hier in einer schmucken Siedlung unmittelbar am Strom, von dem aus sie einstmals
alle Weltmeere befuhren, an Land gegangen sind, haben immer noch blanke Augen
und ein gerades Kreuz. Sechzehn von achtundzwanzig sind noch übriggeblieben,
seitdem das Stift für pensionierte Kapitäne 1951 -53 am Lesumeck wieder
aufgebaut wurde. Dieses Häuflein der alten Getreuen lebt still und heiter unter.
dem Gesetz der Wohltätigkeit und Brüderlichkeit, wie es seit 1663 dem Geiste des
Hauses gemäß ist.
„Wir sind nicht so
verkalkt, daß wir unsere Augen nicht noch draußen hätten!" sagt ein alter
Lloydkapitän, dem man von seinen 74 Jahren gut und gern noch 20 abschreiben
könnte. „Wir sind jung geblieben, weil wir von Salzwasser gelebt haben, Mögen
Sie es glauben oder nicht: die beste Medizin auf See war früher jeden Morgen vor
dem Kaffee ein Glas Meerwasser frisch aus der Pütz. Und", so spinnt er sein Garn
weiter, „ebenso halten wir es mit einem guten Buddel Bremer Bieres und einer
anständigen Piep Toback!"
Auf den blanken
Holztischen, an denen die Herren auf alten, mit schwarzem Rips bespannten
Mahagonistühlen die Stunden ihres Colloquiums geruhsam absitzen, stehen Tonkrüge
mit jener kraftvollen „Mixture", die in diesem Kreise unwandelbares Rezept für
die Pfeife ist. Aus Reedereikreisen wird den Veteranen von Haus Seefahrt ein
monatliches Deputat von Rauchtabak gestiftet, worüber sogar Buch geführt wird,
damit jeder sein Recht erhält. Während sich der würzige blaue Dunst in diesem
urgemütlichen Gehäuse, das ringsum mit hunderten von Familienwappen aus der
Bremer Schiffahrt geziert ist, unter der Decke zu einem zünftigen „Hecht"
verdichtet, springt das Gespräch ganz von selbst auf das Rauchen und auf die
beste Art, es ein Leben lang zu tun, über.
„Schon als Schiffsjunge
haben wir in irgendeinem Versteck geschmökt, damit der Käppen uns nicht
schnappte!" Damals wehte auch bei voller Flaute ein harter Wind an Bord: „Wenn
wir als Jungen zu den Herren Matrosen ins Logis kamen und behielten die Mütze
auf, gab es welche an den Gallappel!" Und so sehr hatte sich das Rauchen in die
Begriffswelt des Seemannes eingebrannt, daß man zum Kopf auch „Piependeckel"
sagte. Geraucht wurde bei jedem Wind und Wetter, sofern es die Sicherheit des
Schiffes erlaubte, aus der handlichen Stummelpfeife. Der Kapitän hatte in seiner
„Slop-Chist", aus der die Mannschaft während der Reise vom Seestiefel bis zur
Seife alles einhandeln konnte, auch den Tabak in Verwahrung.
Zu einem besonderen Kult
mit der Pfeife oder sonstiger „Rauchkultur" war damals an Bord keine
Gelegenheit: „Wir rauchten die kurzen Ton- und Holzpfeifen, und an dünne oder
dicke Glimmstengel dachte schon gar keiner!" Die passionierten Allwetterraucher
suchten mit List und Tücke auch zu ihrem Recht zu kommen, wo der Köppen eisern
„Lunten aus" befohlen hatte. So hatte einer unserer Kapitäne noch auf seinem
Segelschiff einen Rudergänger erwischt, der im Steuerhaus nach eigenem System
verbotswidrig schmökte: „Komme ich da doch bei der Inspektion ins Ruderhaus und
schnuppere Tabak. Der Mann am Rad raucht nicht, aber aus seinem Halsausschnitt
qualmt es. Ich greife zu, und da hat doch dieser Lausebengel sich einen
Pfeifenkopf schön in Asbest gewickelt und in die Brusttasche gesteckt, einen
Schlauch mit Mundstück drangemacht und dann immer kräftig gezogen, wenn die Luft
rein war!"
Die nächste Story kommt
aus einer blauen Wolke von der anderen Tischkante: „Da hätten Sie mal meinen Opa
sehen sollen! Der war Förster und rauchte aus einer langen Pfeife mit einem
Porzellankopf, wo bald ein halbes Pfund Heidekraut hineinging. Oft habe ich als
Junge zu seinen Füßen gesessen und zugeguckt. In meinem ganzen Leben vergesse
ich nicht, als eines Tages plötzlich aus dem Pfeifenkopf sich ein langer Stengel
wie ein glühender Wurm herausringelte. Sieh', sagte Opa, der will bloß mal
sehen, welches Rindvieh diesen feinen Tabak rauchen tut!' Tscha, so etwas kann
man erleben, und trotzdem mit der Pfeife groß und alt werden!"
Überhaupt herrscht in
dieser Runde jene humorig feuchte Geistesrichtung vor, die man auf gut bremisch
als „knäpsch" bezeichnet, was für eine Landratte so viel wie „pfiffig" (kommt
von Pfeife!) bedeutet. Kurz vor Toresschluß kam in diesem Tobakskollegium noch
eine hübsche Anekdote über den Tisch. In der Ecke hat den ganzen Abend lang der
Atteste auf einem prächtigen Mahagonisessel dem Dauerskat gehuldigt. Die Rede
kam auf dieses urväterliche Möbelstück: „Nach dem Kriege haben sie diesen Stuhl
bei der Bremer Bürgerschaft (Parlament( als Präsidentensitz gehabt, bis wir ihn
endlich wiederhaben wollten. Da hat der Präsident in der Sitzung offiziell
verkündigt: Auf diesem Stuhl sitze ich heute zum letzten Mal! Das gab ein
gewaltiges Aufsehen, bis er dann weiter sagte: Der gehört dem Haus Seefahrt, und
den müssen wir zurückgeben!"
Auch sonst ist im Haus
Seefahrt noch nicht alles wieder „heimgekehrt". Der historische Silberschatz der
Stiftung, der zur Schaffermahlzeit, dem alten Liebesmahl zwischen Schiffern und
Kaufleuten, auf der Tafel paradiert, wird noch im Rathaus aufbewahrt, wo
alljährlich dieses große Fest des Hauses Seefahrt begangen wird. Dafür aber sind
die Senioren der bremischen Seefahrt Jahr für Jahr Ehrengäste im schönsten und
höchsten Hause der Stadt.
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GmbH Quelle: Das Tabakblatt - Ausgabe: Januar 1960 - Autor: Reinhard
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